ANTHROPOLIS I-V
von Roland Schimmelpfennig / Aischylos/ Sophokles/ Euripides
Regie: Karin Beier
Die berühmtesten Gründungsmythen der europäischen Zivilisationsgeschichte stammen aus der Stadt Theben. Mit Antigone und Ödipus haben sie gleich zwei Gestalten hervorgebracht, die in Literatur, Philosophie und Psycho logie bis heute zentrale Rollen einnehmen. Ihre Vorfahren und Verwandten Dionysos, Laios und Iokaste stehen den beiden allerdings in nichts nach. Beklemmend aktuell sind die Konflikte, die die Tragödien des thebanischen Sagenkreises verhandeln und die seit langem unter der Oberfläche moderner Gesellschaften rumoren. Machtberauschte Politiker und widerständige Kinder, rigide Ordnungsfanatiker und entfesselte Rebellinnen, übermenschliche Zerstörungskräfte und gewalttätige Eliten – sie alle bewohnen das Konzept, das sich „Stadt“ nennt und das die politische Urform unseres Staatswesens bildet.
Angesichts akuter Megakrisen wie Klimakatastrophe, Artensterben, Überbevölkerung oder drohendem Atomkrieg, die ähnlich unbarmherzig wie die alten Göttersprüche mit dem menschlichen Wissenschafts-, Technik- und Fortschrittsglauben kollidieren, kommt langsam, aber unaufhaltsam eine Ahnung auf, dass sich die vernunftbasierte Welt als Illusion erweisen könnte, und irrationale Kräfte auf ihr Existenzrecht pochen. Mit den tragischen Gestalten aus Theben drängen Positionen auf die politische Bühne zurück, die die aufgeklärte Kultur längst in ihre Hinterhöfe verbannt oder am liebsten ganz außerhalb ihrer Stadtmauern entsorgt haben wollte: der Rausch, die Religion und die Naturgewalt; Feinde, die sich ihre Feindschaft nicht nehmen lassen; und weibliches Empowerment. Analog zum Begriff des „Anthropozän“, dem Zeitalter des Menschen, wurde die Serie ANTHROPOLIS konzipiert, die sich den „Ungeheuern“ innerhalb und außerhalb des zivilisatorischen Bollwerks „Stadt“ in einer Neuübertragung und Bearbeitung der thebanischen Tragödien und ihrer Mythen stellen will.
Seit über zwei Jahren werden die fünf Folgen der Serie vorbereitet und geprobt, um sie in einem zweiwöchigen Rhythmus zu Beginn der Spielzeit 2023-24 als Serie zur Uraufführung zu bringen – eine Novität auf der Großen Bühne des Deutschen SchauSpielHauses Hamburg. Regie führt in allen Inszenierungen die Intendantin Karin Beier.
Die einzelnen Inszenierungen können sowohl für sich allein als auch in zeitlicher Abfolge gesehen werden. An vier Wochenenden der Saison bietet sich zudem die besondere Gelegenheit, alle fünf Teile von ANTHROPOLIS in einem Serienmarathon zu besuchen – ganz wie es im ursprünglichen Theater der „Großen Dionysien“ in Athen üblich war.
ANTHROPOLIS ist nominiert für das Berliner Theatertreffen 2024.